Unterrichtstörungen
Inhaltsverzeichnis: |
---|
“Unterrichtsstörungen sind Ereignisse, die den Lehr-Lernprozess beeinträchtigen, unterbrechen oder unmöglich machen, indem sie die Voraussetzungen, unter denen Lehren und Lernen erst stattfinden kann, teilweise oder ganz außer Kraft setzen” (Lohmann 2003, S.12). |
Begriffsentwicklung:
„Unterrichtsstörungen hat es seit jeher gegeben“ (Meyer 1990, S. 226). Benikowski (1995) kommt nach der Analyse der kritisch-konstruktiven, der kritisch-kommunikativen, der lehr-lerntheoretischen und der lernzielorientierten-curricularen Didaktik zu dem Ergebnis, „dass keine Didaktik eine ‚störungsfreie‘ Umsetzung ermöglicht“ (S. 29). Unterrichtsstörung ist ein komplexes und vielschichtiges Phänomen und stellt für die Lehrkräfte eine permanente Herausforderung dar. Im Laufe der Jahre hat sich eine Entwicklung hinsichtlich des auf das Phänomen der Unterrichtsstörung bezogenen Begriffes vollzogen: Bis in die 90er Jahre hat man häufiger Begriffe wie „Disziplin(-ierungs-)schwierigkeiten“, „Verhaltensstörungen“, „Verhaltensauffälligkeit“, „Verhaltensunsicherheit“ u. ä. verwendet. Heutzutage spricht man von „Unterrichtsstörungen“ oder „Konflikten“. Diese beiden Begriffe sind weniger mit einer Schuldzuweisung belastet als zuerst genannte und im Großen und Ganzen dasselbe Phänomen beschreibende Begriffe (vgl. Hintz, Pöppel & Rekus 1993). Die hohe Relevanz dieses Themas in Hinsicht auf das Schaffen und Erhalten der für den Unterricht lernfördernden Unterrichtsbedingungen (vgl. Wollenweber) wird durch die Fülle an Literatur dazu deutlich. Unterrichtsstörung ist immer eine Normabweichung, die von der subjektiven Wahrnehmung der Lehrkraft und der Lehrenden, aber auch „von den institutionell verankerten gesellschaftlich anerkannten Verhaltungserwartungen“ abhängt (Meyer, 1990 S. 227), und bezeichnet die Störung eines Unterrichtsprozesses, infolgedessen die Beziehung zwischen Schüler*in und Aufgabe unterbrochen wird (vgl. Hintz et al. 1993). Pfitzner (2000) schreibt in diesem Zusammenhang, dass „ein Verhalten selbst zunächst nicht das Problem ist, erst die Auswirkungen auf den Unterricht durch die Interpretation von Lehrern und Schülern ist von entscheidender Bedeutung“ (S. 65). Unterrichtsstörung kann sowohl von der Lehrkraft als auch von den Schülerinnen und Schülern ausgehen und bewusst oder ohne Absicht eintreten. Sie kann ebenfalls eine Folge der Unterrichtsform bzw. des Unterrichtsinhaltes oder der Methodik bzw. der Sozialform sein. Zudem sind die schulischen Rahmenbedingungen und die äußeren Einflüsse ausschlaggebend für mögliche Unterrichtsstörungen (vgl. Hintz et al. 1993 ). Störungen sind somit wichtige Symptome, Wegweiser und Indikatoren im pädagogischen Prozess (vgl. Mühlhausen & Wegner 2006, S. 202). Für Mühlhausen und Wegner haben sie Vorrang vor der inhaltlichen Arbeit. Winkel (1993) bezeichnet Unterrichtsstörungen als „verschlüsselte Mitteilungen“, also als Signale der Lernenden, die mitteilen wollen, dass beispielsweise der Unterricht langweilig oder uninteressant ist oder dass man den Sinn des Unterrichts nicht versteht (vgl. Pfitzner 2000).
Dimensionen von Unterrichtsstörungen Winkel (1993) unterscheidet „in seinem ersten Analyseansatz von Unterrichtsstörungen“ fünf „eng miteinander korrelierende Dimensionen, die der empirisch-deskriptiven Erfassung und der Analyse der Zusammenhänge unterrichtlicher Störsituationen dienen“ (Pfitzner 2000, S. 86). Später erweitert Winkel diesen Ansatz zusätzlich zu seinem „Diagnosebogen bei Unterrichtsstörungen“ (s. Winkel 2006, S. 96). Pfitzner entwickelt Winkels Dimensionen weiter, erweitert und ergänzt sie (s. Pfitzner 2000, S. 87 ff.):
11. Die Unterrichtsstörung kann gegen
Formen der Unterrichtsstörungen Die Unterrichtsstörungen können in sehr unterschiedlichen Ausführungen auftreten. Es kann sich um Verteilungskonflikte (z.B. ein*e Schüler*in fühlt sich benachteiligt), Autonomiekonflikte (z.B. Schüler*innen sehen bestimmtes Verhalten als Eingriff in ihre Privatsphäre), Ziel- und Wertekonflikte (z.B. unterschiedliches Wertempfinden führt zu einem Konflikt), Kommunikationskonflikte (z.B. Missverständnisse), Kompetenzkonflikte (z.B. unterschiedliche Sichtweisen auf einen Sachverhalt), Rollenkonflikte (z.B. unterschiedliche Erwartungen verschiedener Peergroups an eine*n Schüler*in) oder Hierarchiekonflikte (z.B. Autoritätsverlust der Lehrperson in bestimmten Situationen) handeln. Winkel (1993, S. 33 ff.) nennt folgende Formen von Unterrichtsstörungen:
Biller (1979, S. 34 ff.) nennt je nach Störungsgrad folgende Störungen im Unterricht: Bagatellstörungen (intern) Bagatellstörungen sind kurzzeitig auftretende Störungen, die den Unterrichtsprozess nicht nachhaltig beeinträchtigen, „ganz natürliche Reaktionen junger Menschen“ (Biller 1979, S. 34).
Indirekte und direkte ernsthafte Störungen Ernsthafte Störungen sind „vielschichtig von anderen Störungen überlagert und durchdrungen“, weshalb es schwer ist, einen einzigen Störfaktor aufzufinden (Biller 1979, S. 35). Indirekte Unterrichtsstörungen
Direkte Unterrichtsstörungen
Unbehebbare Störungen
Unvermeidbare Störungen Bei unvermeidbaren Unterrichtsstörungen geht es nach Biller (1979) darum, dass Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler sich darauf einstellen müssen, dass „sich die schulische Gesamtsituation kurzfristig nicht ändern wird“ (S. 37) und sie müssen mit den festgestellten Ursachen von Störungen auf lange Sicht leben. „Es lässt sich nicht vermeiden, […] daß Normen erfüllt und Forderungen gestellt werden müssen […]“ (Biller 1979, S. 37).
Ursachen Einen Unterricht ohne Störung gibt es nicht. In allen Schulen sowie Schulformen treten Unterrichtsstörungen auf. Überall dort, wo Individuen aufeinander treffen, kommt es zwangsläufig zu Störungen; sei es durch Meinungsverschiedenheiten, Enttäuschungen oder lapidaren Missverständnissen. Unterrichtsstörungen sind unter einem konflikttheoretischen Hintergrund zu betrachten. Dies geschieht durch die analytischen und zielgerichteten „Warum-„ und „Wozu“-Fragen. Es werden die kausalen Hintergründe des gezeigten Verhaltens und Motive des/der „Störenden“ analysiert. Die Ursachen können nach Winkel „im schulisch-unterrichtlichen Kontext (z.B. lehrerzentrierter Verbalunterricht, angstbesetzter Schulalltag, geheime Lernplanstrategien, fehlende oder nicht genügend ausgebildete Interessen der Schüler für die Lerninhalte, schulorganisatorische Schwierigkeiten, fehlende Abreaktions-, Spiel- oder Sportgelegenheiten) oder im psychisch-sozialen Kontext (z.B.: im Lehrer oder Schüler selbst, in der Lehrer-Schüler-Interaktion, im familiären Hintergrund, in der Subgruppenformation, in gesellschaftspolitischen Widersprüchen, in medialer Reizüberflutung bzw. Reizbrutalisierung) liegen“ (Pfitzner 2000, S. 71).
Präventions- und Handlungsmöglichkeiten „Präventive Maßnahmen sind sinnvoller als reaktive überhastete Korrekturen“ (Pfitzner 2000, S. 190). Die Lehrkraft kann durch effektives Klassenmanagement Unterrichtsstörungen vorbeugen (vgl. Schulitz 2005). In einem „guten“ Unterricht (s. auch Zehn Merkmale guten Unterrichts nach H. Meyer 2003) setzen solche Lehrerinnen und Lehrer „geschickte Maßnahmen ein, die störende Schüler stoppen, bevor die Störung um sich greift und andere Schüler mit einbezieht“ (Schulitz 2005, S. 410). Kounin (1976, nach Schulitz 2005, S. 410 ff.) fand vier Faktoren, die Störungen vorbeugen können:
Zusätzlich zu diesen vier Punkten kann man Vereinbarung und Einhaltung klarer Regeln in der Klassengemeinschaft als präventive Maßnahme gegen Unterrichtsstörungen nennen (vgl. Nolting 2002). Treten Unterrichtsstörungen trotzdem auf, reagieren Lehrkräfte auf abweichendes Verhalten der Lernenden oft mit disziplinierenden Maßnahmen (vgl. Mühlhausen & Wegner 2006), obwohl „Machtausübung und Kontrolle recht unwirksame bzw. allenfalls kurzfristig wirksame Interventionsformen sind“ (Arnold & Pätzold 2002, S. 82). Durch eine gründliche Reflexion von unterrichtsstörenden Situationen kann die Lehrkraft die möglichen Ursachen ermitteln und sich Maßnahmen und Lösungen dagegen überlegen. |
Unterricht |
Arnold, R. & Pätzold, H. (2002). Schulpädagogik kompakt. Prüfungswissen auf den Punkt gebracht. Berlin: Cornelsen Scriptor.
Benikowski, B. (1995). Unterrichtsstörungen und Kommunikative Didaktik: Störungen aus der Sicht der Lerngruppe und die Grenzen didaktischer und psychotherapeutischer Modelle. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Biller, K.. (1979). Unterrichtsstörungen. Stuttgart: Klett-Verlag. Hintz, D., Pöppel, K. G. & Rekus, J. (1993). Neues schulpädagogisches Wörterbuch. Weinheim, München: Juventa Verlag. Kounin, J. (1976). Techniken der Klassenführung. Bern: Huber. Lohmann, G. (2003): Mit Schülern klarkommen: Professioneller Umgang mit Unterrichtsstörungen und Disziplinkonflikten. Berlin: Cornelsen Scriptor. Meyer, H. (1990). Unterrichtsmethoden. Frankfurt am Main: Scriptor-Verlag. Mühlhausen, U. & Wegner, W. (2006). Erfolgreicher unterrichten?! Eine erfahrungsfundierte Einführung in die Schulpädagogik. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Nolting, H. P. (2002). Störungen in der Schulklasse. Ein Leitfaden zur Vorbeugung und Konfliktlösung. Weinheim, Basel: Beltz. Pfitzner, M. (2000). „Kevin tötet mir den letzten Nerv“: vom Umgang mit Unterrichtsstörungen. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Schulitz, W. (2005). Konflikte in der Schule. In: Bovet, G. & Huwendiek, V. (Hrsg.). Leitfaden Schulpraxis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrberuf. Berlin: Cornelsen Scriptor, S. 409-426. Winkel, R. (1993). Der gestörte Unterricht. Diagnostische und therapeutische Möglichkeiten. Bochum: Ferdinand Kamp Verlag. Winkel, R. (2006). Der gestörte Unterricht. Diagnostische und therapeutische Möglichkeiten. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Wollenweber, K. U. Unterrichtsstörungen: http://www.unterrichtsstoerungen.de/ (letzter Zugriff: 17.04.2014) |
Hillenbrand, C. (2003). Didaktik bei Unterrichts- und Verhaltensstörungen. München: Ernst Reinhardt Verlag.
Hoos, G. Konflikte in der Schule, Unterrichtsstörungen, Disziplinkonflikte: http://studienseminar.rlp.de/fileadmin/user_upload/studienseminar.rlp.de/gy-tr/Daun/Allgemeines_Seminar/Konflikte_in_der_Schule.pdf (letzter Zugriff: 17.04.2014). Ludwig, O., Priebe, B., Winkel, R. & Friedrich, E. (Hrsg.) (1987). Unterrichtsstörungen: Dokumentation, Entzifferung, Produktives Gestalten. Friedrich-Jahresheft V. Seelze: Friedrich Verlag. Molnar, A. & Lindquist, B. (1995). Verhaltensprobleme in der Schule: Lösungsstrategien für die Praxis. Dortmund: Modernes Leben-Verlag. Ortner, A. & Ortner, R. (2000). Verhaltens- und Lernschwierigkeiten. Weinheim: Beltz-Verlag. Schäfer, C. (2006). Wege zur Lösung von Unterrichtsstörungen. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Wollenweber, K. U. (2011). Disziplinprobleme im Schulalltag lösen. 66 Maßnahmen zur Bewältigung von Unterrichtsstörungen |
Wir weisen darauf hin, dass die aufgelisteten Seiten nicht Teil des Didagma-Projektes sind. Daher übernehmen wir keine Haftung für die Inhalte und die Richtigkeit dieser Seiten. Falls der Link defekt, oder der Seiteninhalt unpassend sein sollte würden wir uns freuen darüber informiert zu werden.
Trimborn, K.: Wer stört wen? – Unterrichtsstörungen erkennen und damit umgehen |
Unterrichtsstörungen |
Verantwortlich: Claudia Gómez Tutor, Zentrum für Lehrerbildung, TU Kaiserslautern und Olga Huber (Zentrum für Lehrerbildung – TU Kaiserslautern)
« Back to Glossary Index