Konstruktivismus

Kurzdefinition:
Konstruktivistische Ansätze gehen davon aus, dass Erkenntnis mit dem Individuum zu tun hat, welches Wissen nicht passiv aufnimmt, sondern aktiv aufbaut. Lernen ist folglich die Konstruktion eines viablen Modells der Umwelt. Die konstruktivistische Ermöglichungsdidaktik nennt die Entwicklung und Konstruktion reflexiven Wissens durch selbstständige Erschließung von Bildungsgehalten als vorrangiges Ziel.
Beschreibung:
Die Verwendungsweisen von „konstruktivistisch“ sind allgemein wie auch in pädagogischen Zusammenhängen mehrdeutig. Entsprechend stellt die „Konstruktivistische Pädagogik“ ein weit verzweigtes Feld von theoretisch und praktisch motivierten Ansätzen und Konzeptionen dar. (vgl. Hug 2006, S. 353ff.).

Der Ausdruck „Konstruktivismus“ taucht in der Pädagogik erstmals in den 1970er-Jahren auf (W. Brezinka, W. Klafki, E. König). Für die Weiterentwicklung konstruktivistischer Positionen in der Pädagogik sind die Arbeiten von Ernst von Glasersfeld (1996) maßgeblich. (vgl. Hug 2006, S. 353), der in seinem Modell des radikalen Konstruktivismus zwei Grundannahmen formulierte:

  1. Wissen wird vom denkenden Subjekt nicht passiv aufgenommen, sondern aktiv aufgebaut.
  2. Die Funktion der Kognition ist adaptiv und dient der Organisation der Erfahrungswelt, nicht der Entdeckung der ontischen Realität. (vgl. Glaserfeld 1996, S. 85.)

Jedoch ist in der Forschung um den Konstruktivismus keine einheitliche Position zu erkennen, weshalb hier die folgenden, sich überschneidenden Grundannahmen im Vordergrund stehen: Beobachtungen werden von beobachtenden Instanzen (= Menschen, Akteuren, Systemen, usw.) gemacht, die im Prozess der Beobachtung nicht zugleich die „blinden Flecken“ (= Ausgangspunkte, Perspektiven, Kontextbedingungen, usw.) der Beobachtungen beobachten können (= Beobachtungstheorem). „Beobachten“ meint dabei die Herstellung und den Gebrauch von Unterscheidungen zum Zweck von Bezeichnungen (= System-Umwelt-Differenz). (vgl. Hug 2006, S. 355).

Es folgen einige konstruktivistische Ansätze, die das Spektrum dieses theoretischen Zugangs dokumentieren sollen, aber keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit besitzen:

1.  Radikaler Konstruktivismus:

  • Hauptvertreter: Heinz von Foerster und Ernst von Glasersfeld.
  • starke subjektivistische Orientierung.
  • subjektive Erkenntnis als Ausdruck von Wirklichkeitskonstruktionen.
  • relativierende Sicht auf das Wissen selbst (vgl. Reich 2006, S. 85).

2.  Sozial-kulturtheoretisch begründeter Konstruktivismus:

  • Hauptvertreter: Berger / Luckmann, Knorr-Cetina, u.a.
  • keine bloße subjektiv-personale Deutung sowie keine übertrieben objektivistische Erklärung der natürlichen Entwicklungslogik, nach der Menschen ihr Wissen konstruieren.
  • kulturelle Veränderungen beim Übergang der Moderne in die Postmoderne haben große Bedeutung.
  • Wissen wird durch Gesellschaften und soziale Diskursgemeinschaften geschaffen.
  • Kritik an radikalem Konstruktivismus: kulturelle Einbindung und damit die Intersubjektivität würden unterschätzt und es wird zu wenig über die soziale Konstruktion des Wissens erarbeitet (vgl. Reich 2006, S. 87).

Im Unterschied zum radikalen Konstruktivismus, ist der wissenspsychologische Konstruktivismus entscheidend an der Frage des Wissenserwerbs und Wissenstransfers interessiert. „Konstruktivistisch“ ist hierbei die Annahme, dass jeder Lernprozess auf einer individuellen, aktiven Organisationsleistung beruht, die zum Aufbau einer jeweils eigenen „Wirklichkeit“ führt. Wissenserwerb ist daher mit individueller Wirklichkeitskonstruktion gleichzusetzen (Lernen = Wissenserwerb = Konstruktion). (vgl. Müller 1996, S. 71).

Daraus folgt, dass Information keine „externe“ Eigenschaft von Objekten, Personen oder Prozessen, sondern eine „interne“ Antwort auf eine Wahrnehmung, mit der aufgrund der Vorgeschichte und Erfahrung des Einzelnen eine sinnvolle Anbindung an bestehendes Wissen ermöglicht wird. Ein konstruktivistisches Lernziel besteht also darin, die Verantwortung für das eigene Handeln in Hinblick auf seine „wirklichkeitskonstitutive“ Kraft zu übernehmen und zu erkennen, dass der „Erfinder“ einer Wirklichkeit verantwortlich ist für seine Erfindung. (vgl. Müller 1996, S. 75f.).

Die Random Access-Theorie verfolgt das Ziel, Flexibilität in den Lernprozess zu integrieren und somit Probleme des trägen Wissens (träges Wissen ist nicht transferfähig) zu bewältigen. Diese auf Flexibilität zielende Methode geht von nicht-linearen und multidimensionalen Lernobjekten aus, die zu verschiedenen Zeiten in veränderten Kontexten, aus verschiedenen Perspektiven und unter veränderten Zielsetzungen präsentiert werden. Der anchored instructions-Ansatz verfolgt ebenso das Ziel, anwendungsbezogenes und transferfähiges Wissen erwerben zu lassen, formuliert hierzu aber zusätzlich sieben Designprinzipien:

  1. Video-basiertes Präsentationsformat
  2. Narratives Format
  3. Generatives Lernformat
  4. Prinzip der eingebetteten Daten
  5. Problemkomplexität
  6. Paare ähnlicher Geschichten fördern die Erkennung von Analogien, den Wissenstransfer und die Einnahme multipler Perspektiven;
  7. Curriculare Vernetzung. (vgl. Müller 1996, S. 78f.).

Übersichtsgrafik:

Traditionell: Erzeugungsdidaktik Konstruktivistisch: Ermöglichungsdidaktik
Wissensorganisation Speicher Konstruktion
Ablauf von Lernprozessen
  • linear
  • fremdorganisiert
  • vorhersagbar
  • nicht-linear
  • selbstorganisiert
  • nicht vorhersagbar
  • nicht-linear
  • selbstorganisiert
  • nicht vorhersagbar
Didaktische Folgerungen
  • Erzeugungsdidaktik: stellvertretende Erschließung von Bildungsgehalten
  • Planungsdenken: Unterricht ist Realisierung und Kontrolle von geplanten Lehrschritten
  • normative Position: Normierung der Vielfalt der Wirklichkeitskonstruktionen, Erziehung, Belehrung und Aufklärung
  • Ermöglichungsdidaktik: selbstständige Erschließung von Bildungsgehalten
  • operatives Denken: Unterricht ist die Realisierung und Begleitung von Lernprojekten.
  • reflexive Position: Gültigkeit der Wirklichkeitskonstruktionen wird im Dialog reflektiert und problematisiert, Individualisierung und Pluralisierung sind möglich.
  • Ermöglichungsdidaktik: selbstständige Erschließung von Bildungsgehalten
  • operatives Denken: Unterricht ist die Realisierung und Begleitung von Lernprojekten.
  • reflexive Position: Gültigkeit der Wirklichkeitskonstruktionen wird im Dialog reflektiert und problematisiert, Individualisierung und Pluralisierung sind möglich.
Professionalität der Lehrenden
  • lehren
  • vermitteln
  • führen
  • begleiten
  • beraten
  • unterstützen
  • begleiten
  • beraten
  • unterstützen
Vorrangiges Ziel Vermittlung und Nachvollzug vorgegebenen Wissens Entwicklung und Konstruktion reflexiven Wissens

Abbildung: Vergleich Erzeugungsdidaktik und konstruktivistische Ermöglichungsdidaktik.

Quelle: Arnold & Pätzold 2002, S. 78ff.

Interne Verweise:
Ermöglichungsdidaktik

Kritisch-konstruktive Didaktik

Verwendete Quellen:
Arnold, R. & Pätzold, H.: Schulpädagogik kompakt. Prüfungswissen auf den Punkt gebracht. Berlin: Cornelsen. 2002.

Glasersfeld, E. von: Radikaler Konstruktivismus. Ideen, Ergebnisse, Probleme. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 1996.

Hug, T.: Konstruktivistische Pädagogik, In: Krüger, H.H. & Grunert, C. (Hrsg.): Wörterbuch Erziehungswissenschaft, 2. Auflage. Opladen: UTB Verlag. 2006.

Müller, K.: Wege konstruktivistischer Lernkultur, In: Müller, K. (Hrsg.): Konstruktivismus. LehrenLernen – Ästhetische Prozesse. Neuwied: Luchterhand. 1996.

Reich, K.: Konstruktivistische Didaktik. Lehr- und Studienbuch mit Methodenpool (3. Aufl.), Weinheim: Beltz Verag. 2006.

Weiterführende Literatur:
Arnold, R.: Seit wann haben sie das? Grundlinien eines emotionalen Konstruktivismus. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag. 2009.

Arnold, R.: Ich lerne, also bin ich. Eine systemisch konstruktivistische Didaktik. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag. 2007.

Arnold, R. & Gómez Tutor, C.: Grundlinien einer Ermöglichungsdidaktik. Augsburg: Ziel Verlag. 2007.

Internetverweise:
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Verantwortlich: unbekannt

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