Beweis als Prozess

Kurzdefinition:

Der Beweis als Prozess umfasst nach Boero (1999) sechs Schritte, die folgende Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern explizit fordern:

  1. Entwicklung einer Vermutung/Behauptung und Identifikation möglicher Argumente,
  2. Formulierung einer Behauptung,
  3. Exploration der Hypothese und möglicher Argumentverknüpfung,
  4. Auswahl von Argumenten und ihre deduktive Verknüpfung in einer Argumentationskette,
  5. Formulierung des Beweises,
  6. Retrospektive Analyse des Beweises bzw. „kreative Kontrolle“ (nach Tietze et al., 1997).
Beschreibung:

Phase 1: Bei der Beweisführung empfiehlt es sich, zunächst eine Vermutung bzw. eine Behauptung durch die Exploration der Problemstellung zu entwickeln. Ein Teil des Explorierens kann dabei die Identifikation möglicher Argumente sein, die diese Behauptung beweisen könnten. In dieser Phase werden inhaltsbezogene Informationen gesammelt und auf ihre Relevanz hin untersucht, Gesetzmäßigkeiten identifiziert und nach Bedingungen gesucht, unter denen diese Gesetzmäßigkeiten aufzufinden sind. Um eine Vermutung zu entwickeln, müssen Schülerinnen und Schüler den zu beweisenden mathematischen Satz bzw. Sachverhalt, die vorkommenden Ausdrücke und seine logische Struktur verstehen. Die Lehrkraft sollte dabei versuchen, ihnen die zu beweisende Aussage nicht vorzugeben, sondern einen Anstoß zu geben und aus einer geeigneten Lernaktivität entwickeln zu lassen. Schülerinnen und Schüler stellen in dieser Phase Hypothesen im Rahmen von Problemlösung auf, betten die gegebene Problemstellung in größere Zusammenhänge ein und grenzen sie deutlich gegenüber ähnlichen Aussagen ab.

Oftmals sind bei der Entwicklung einer Behauptung empirisches Arbeiten sowie eher induktive als deduktive Denkschritte geeignet. Nach Tietze et al. (1997) kann die Aufstellung einer Vermutung durch konkrete Anschauung und Konkretisieren des gegebenen Sachverhalts, durch Abstrahieren aus konkreten Situationen, Auseinandersetzung mit einer Problemsituation und Variieren von Sachverhalten, durch Generalisieren und Spezialisieren, Exaktifizieren und Analogisieren erfolgen.

Phase 2: Hier wird der gefundene Zusammenhang so genau wie an dieser Stelle schon möglich formuliert. Das bereits Erreichte wird zusammengefasst und das weitere Vorgehen festgelegt. Die exakte Formulierung einer mathematischen Behauptung bringt Klarheit in den Beweisprozess und definiert die Bedingungen einer Aussage nachvollziehbar. Die Beweisnotwendigkeit wird diskutiert (in der Schule wird nicht jeder Satz auch wirklich bewiesen) und gegebenenfalls die Beweissuche motiviert.

Phase 3: Die dritte Phase, ist durch die eigentliche Hypothesenüberprüfung gekennzeichnet. Hier wird die Struktur des vermuteten Sachverhalts untersucht und in das vorhandene mathematische Wissen eingeordnet. Es werden vorhandene heuristische Hilfsmittel auf ihre Tauglichkeit hin überprüft und gegebenenfalls verwendet. Argumentation kann nach Tietze et al. (1997) beispielsweise durch Herleitung eines Sonderfalls, Zerlegung des Beweises in Teile und Beweisen ausgewählter Teile, durch Rechtfertigen des Sachverhalts mittels Plausibilitätsbetrachtungen erfolgen. Induktive und deduktive Lösungsschritte stehen damit in dieser Phase in Interaktion miteinander.

Phase 4: Die vierte Phase beinhaltet die Auswahl von Argumenten und ihre deduktive Verknüpfung in einer Argumentationskette. Hier werden relevante und irrelevante Inhalte im Hinblick auf die gegebene Problemstellung identifiziert und ausgewählt bzw. verworfen.

Phase 5: Bei der Formulierung des Beweises gilt es, einen Kompromiss zwischen einer situationsangemessenen, altersgemäßen, den Schülerinnen und Schülern verständlichen Sprache einerseits und der Verwendung der mathematischen Fachsprache andererseits zu finden.

Phase 6: Schließlich wird der Beweis noch einmal reflektiert: Welchen Gewinn bringt mir der bewiesene Satz? Wo wurden die Voraussetzungen benutzt? Welche Beweistechnik wurde verwendet? Auf welchem Niveau wurde der Beweis geführt? Welche Definitionen und Sätze wurden verwendet? Gibt es alternative Beweise? Im Anschluss an jeden Beweis ist es wichtig, (erneut) Spezialfälle, Verallgemeinerungen und mögliche Folgerungen zu betrachten.

Interne Verweise:
Begründen und Beweisen
Verwendete Quellen:
Boero, P.: Argumentation and mathematical proof: A complex, productive, unavoidable relationship in mathematics and mathematics education. International Newsletter on the Teaching and Learning of Mathematical Proof, 1999, 7/8.

Holland, G.: Geometrie in der Sekundarstufe Didaktische und methodische Fragen. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. 1996.

Tietze, P., Klika, M., Wolpers, H.: Mathematikunterricht in der Sekundarstufe II, Band 1. Wiesbaden: Vieweg Verlag. 1997.

Weiterführende Literatur:
Barzel, B., Büchter, A., Leuders, T.: Fachmethodik: Mathematik-Methodik: Handbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin: Cornelsen Verlag Scriptor. 2007.

Zech, F.: Grundkurs Mathematikdidaktik. Weinheim: Beltz. 2002.

Internetverweise:

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Materialien:

Verantwortlich: Claudia Gómez Tutor, Zentrum für Lehrerbildung, TU Kaiserslautern und Olga Zhuravleva

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