Kommunikative Didaktik

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Kurzdefinition:
Die kommunikative Didaktik, die um 1970 von Schäfer und Schaller entwickelt und danach vor allem von R. Biermann und R. Winkel zur kritisch-kommunikativen Didaktik weiterentwickelt wurde, ist „eine Theorie unterrichtlichen Lehrens und Lernens“ (Keck & Sandfuchs 2004, S. 240) zur Analyse und Planung von Lernprozessen (vgl. Popp, 1976) und geht in ihrer Forschung des Kommunikationsprozesses im Unterricht schwerpunktmäßig die sozialen Interaktionen in ihrer Interdependenz zum Inhalts- und Methodenproblem an. Sie bedient sich hierbei vor allem der Erkenntnisse der Kommunikations-, Interaktions- und Handlungstheorie (vgl. Köck & Ott, 1979).
Beschreibung:
Mit der Einführung der kommunikativen Didaktik rückt in der Zeit der „akommunikativen Realität“ (Schäfer, 1976) eine grundlegend andere Perspektive auf den Unterricht ins Zentrum didaktischer Fragestellungen, wobei die Lehr-Lernprozesse als ein sozialer Prozess verstanden werden (vgl. Keck & Sandfuchs, 2004). Sie entstand aus der Einsicht, dass das Bewusstsein von Individuen prinzipiell durch Kommunikation beeinflusst werden kann. Die kommunikative Didaktik ist nach dem Verständnis von Popp (1976) ein offenes System ohne den Anspruch auf absolute Gültigkeit: die Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten von Lernprozessen sind als „Wahrheiten auf Widerruf zu behandeln“ (Köck & Ott 1997, S. 374).

Nach der kommunikativen Didaktik weist der Unterricht als ein kommunikativer Prozess zwei Dimensionen auf, die in einer Wechselwirkung stehen (vgl. Borsum, Posern & Schittko 1982):

  • Die „Inhaltsdimension“ gibt an, dass durch jede Kommunikation Informationen über Themen und Inhalte vermittelt werden.
  • Die „Beziehungsdimension“ betrifft die Beschaffenheit der sozialen Beziehungen der Interaktionspartner.

Aufforderungen der kommunikativen Didaktik:

  • Betonung der interaktiven Ebene jedes Unterrichts, wobei eine diskursive Interaktion die traditionellen Verkehrsformen des Unterrichts ersetzen sollte (vgl. Keck & Sandfuchs 2004);
  • SchülerInnen als „Subjekte“ des Lernprozesses, die den Kommunikationsprozess mitbestimmen und mitgestalten sollen. Der Unterricht wird damit schülerInnenorientiert;
  • „Symmetrische Interaktion“ der Beteiligten des Unterrichts, die am ehesten durch die „Selbstreflexion“ oder „Metakommunikation“ über Gruppenprozesse angestrebt werden kann. Es gibt damit kein hierarchisches Gefälle zwischen LehrerInnen und SchülerInnen mehr. Die Lehrkraft gehört zu der „Klassengruppe“ hinzu. Damit ist nach Schäfer die kommunikative Didaktik „gruppenorientierte Didaktik“ (vgl. Borsum et al. 1982);
  • „Rationale Kommunikation“, d.h. „rückhaltloser“ Informationsaustausch und rationale permanente Diskussion, die Beteiligung und diese wiederum Emanzipation voraussetzt (vgl. Homberger 2003).
  • „Verzicht auf eine vorrangige Betonung der Sache und Abwendung von einem technologischen Verständnis der Lehr-Lern-Situation“ (Keck & Sandfuchs 2004, S. 240);
  • Einsatz aktivitäts- und kooperationsfördernder Maßnahmen;
  • Thematisierung der gruppendynamischen Komponente schulisch gestalteter Lernprozesse;
  • Unterricht als Ort für den Umgang mit den eigenen Gefühlen und den Gefühlen der anderen sowie mit Selbst- und Fremdwahrnehmung (vgl. Köck & Ott 1997).
  • Gemeinsame Diskussion der Lernziele, Planung des Unterrichts und Abhalten des Metaunterrichts (Unterricht über Unterricht) (vgl. Keck & Sandfuchs 2004).

Didaktische Kommunikation kann sich unmittelbar (face to face) oder mittelbar (über Medien) vollziehen.

Fragen, die sich ein Lehrer oder eine Lehrerin stets stellen sollten:

  • Was bedeutet es, einen Sachverhalt verständlich darzustellen?
  • Wie können Fragen formuliert werden, damit sich Lernende aktiv am Unterricht beteiligen?
  • Welche kommunikativen Impulse können die Erarbeitung von Lerninhalten in einer Gruppen- oder Partnerarbeit fördern?
  • Welche Gesten könnten Lernende zusätzlich motivieren? (vgl. Euler & Hahn 2004)

Grundlage des kommunikationstheoretischen Ansatzes sind die 11 folgenden Axiome, die von Backe (1973), Watzlawick, Beavin Bavelas, Beavin & Jackson (1974) und Winkel (1980) formuliert und beschrieben wurden:

  1. Permanenz: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick 1976). Kennzeichnend für diesen kommunikationstheoretischen Ansatz ist der Totalitätsanspruch der menschlichen Kommunikation. Es ist unmöglich, nicht zu kommunizieren. Diese Annahme besagt, dass die Gesamtheit menschlichen Verhaltens gleich Kommunikation ist, und ein lebender Mensch immer etwas an seine Umwelt kommuniziert. Auch im Unterricht erfolgt Kommunikation immer: entweder setzen sich die Lernenden mit Gegenständen auseinander, die durch den Lehrenden unmittelbar dargeboten werden, oder die Lehrperson will gezielt Einfluss auf seine Schülerinnen und Schüler nehmen und diese zum Aufbau bestimmter Handlungskompetenzen führen.
  2. Beziehung: jeder kommunizierte Inhalt stellt eine bestimmte Beziehung her. „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, derart daß letzterer den ersteren bestimmt und daher eine Metakommunikation ist“ (Watzlawick, Beavin & Jackson 1969, S. 56).
  3. Festlegung: in jeder Kommunikation legen sich die TeilnehmerInnen gegenseitig auf bestimmte Rollen hin fest. „Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt“ (Watzlawick, Beavin & Jackson 1969, S. 61).
  4. Ökonomie: Kommunikationspartner verhalten sich in Bezug auf das Risiko und Aufwand ihrer Kommunikation ökonomisch.
  5. Institution: Kommunikationen werden durch offizielle oder offiziöse Beziehungen beeinflusst.
  6. Erwartbarkeit: zur Herstellung sozialer Identität fließen in alle Kommunikationen Erwartungen ein.
  7. Regeln und Rollen: „Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind entweder symmetrisch oder komplementär, je nachdem, ob die Beziehung zwischen den Partnern auf Gleichheit oder Unterschiedlichkeit beruht“ (Watzlawick, Beavin & Jackson 1969, S. 70).
  8. Inhalte und Beziehungen: „jede Kommunikation will etwas auf bestimmte Weise mitteilen, und erst der situative Kontext lässt darauf schließen, ob ein bestimmter Inhalt oder eine bestimmte Beziehung zwischen Kommunikatoren die eigentliche ‚Botschaft‘ ist“ (Winkel 1997, S. 94-95).
  9. Kontrolle: die Kommunikationsteilnehmer*innen können sich wechselseitig mit Hilfe von Anweisungen, Empfehlungen, Wünschen, Meinungen usw. versichern.
  10. Störung: jede menschliche Kommunikation ist prinzipiell störanfällig.
  11. Mittel und Selbstzweck: Kommunikationen sind Mittel zum Zweck (der Information, Belehrung usw.) oder Selbstzweck (wie beispielsweise beim vergnüglichen Erzählen) und haben je nachdem einen mehr instrumentalen oder einen mehr konsumatorischen Charakter.

R. Winkel greift den Ansatz von Schäfer und Schaller auf und versucht ihn auszudifferenzieren und praxisorientierter auszulegen. Die Inhalts- und Beziehungsdimension wird um den „Vermittlungsaspekt“ (alle lehrenden und lernenden Unterrichtsverfahren) und den „störfaktoriellen Aspekt“ (Unterrichtsstörungen) ergänzt (Winkel 1980, S. 202 f.). Dieses „Gesamtraster unterrichtlicher Wirklichkeit“ soll der Analyse und Planung von Unterricht dienen, die mehr miteinander verschränkt werden sollen. Winkel betont das Ziel der kommunikativen Didaktik, „vorhandene Wirklichkeit kritisch zu reflektieren und sie in anspruchsvollere Möglichkeiten zu transformieren“ (Winkel 1997, S. 95).

Kritik:

  • Kommunikative Didaktik ist zu destruktiv sowie in ihrer Begrifflichkeit zu allgemein, formal, überzogen (vgl. Keck & Sandfuchs 2004) und in schwieriger Sprache formuliert, weswegen die Grundstruktur der kommunikativen Didaktik schwer zu verstehen ist (vgl. Winkel 1997).
  • R. Biermann hebt die Umsetzungsprobleme dieses Didaktikansatzes hervor, besonders unter gegebenen „institutionellen Bedingungen“ mit wenig Handlungsspielraum für LehrerInnen und SchülerInnen (vgl. Biermann 1980, S. 35).
  • Hier wird außerdem in Frage gestellt, ob „junge Menschen bereits den hohen Anspruch an Mitverantwortung erfüllen können, der ihnen zugemutet wird“ (Keck & Sandfuchs 2004, S.241).
  • Winkel sieht einen Mangel der kommunikativen Didaktik darin, dass ihre Vertreter keinen konkreten Vorschlag zur Unterrichtsplanung entwickelt haben.
  • Winkel selbst lässt offen, „wie eine gemeinsame Planung von Schüler und Lehrer aussehen kann“ (Borsum, Posern & Schittko 1982, S. 38).
Interne Verweise:
Verwendete Quellen:
Apel, H. J. (2004) Kommunikative Didaktik. In: Keck, R.W., Sandfuchs, U. & Feige, B. (Hrsg.). Wörterbuch Schulpädagogik. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt Verlag, S. 240-241.

Baacke, D. (1973). Kommunikation und Kompetenz. München: Juventa-Verlag.

Biermann, R. (1980). Schulisches Lernen in der Klassengruppe. Eine Auseinandersetzung mit der interaktionstheoretischen Didaktik. In: Neue Unterrichtspraxis, 13, S. 29-36.

Borsum, W., Posern, H.-G. & Schittko, K. (1982). Einführung in die Didaktik: didaktische Modelle, Grundprobleme, Praxishilfen. München u.a.: Urban und Schwarzenberg.

Euler, D. & Hahn, A. (2004). Wirtschaftdidaktik. Berlin u.a.: Haupt UTB.

Homberger, D. (2003). Lexikon Schulpraxis. Theorie und Handlungswissen für Ausbildung und Unterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag GmbH

Köck, P. & Ott, H. (1997). Wörterbuch für Erziehung und Unterricht,Donauwörth: Auer Verlag

Popp, W. (1976). Kommunikative Didaktik: soziale Dimensionen des didaktischen Feldes. Weinheim u.a.: Beltz.

Schäfer, K.-H. (1976). Partizipation und Identität im Schulfeld. In: Popp, W. (Hrsg.). Kommunikative Didaktik. Soziale Dimensionen des didaktischen Feldes. Weinheim u.a.: Beltz.

Schaller, K. (1978). Einführung in die Kommunikative Pädagogik. Freiburg: Herder Verlag.

Watzlawick, P. (1976). Wie wirklich ist die Wirklichkeit – Wahn, Täuschung, Verstehen. München: Piper..

Watzlawick, P., Beavin Bavelas, J., Beavin, J.H. & Jackson, Don De A. (1974). Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien. Bern: Hans Huber.

Watzlawick, P., Beavin, J.H. & Jackson, Don De A. (1969). Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien. Bern: Hans Huber.

Weiterführende Literatur:
Biermann, R. (1978). Interaktion im Unterricht: didaktische Ansätze, Beiträge, Perspektiven. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Neumann, G. & Stiehl, H. (1976). Unterricht als kommunikatives Handeln. Entwicklung einer themenzentrierten interaktionellen Beobachrungssystems zur Bestimmung der sozialen Relevanz von Unterrichtsarrangements. Hannover: Schroedel.

Schäfer, K.-H. &Schaller, K. (1973): Kritische Erziehungswissenschaft und kommunikative Didaktik. Heidelberg : Quelle und Meyer UTB.

Winkel, R. (1986). Antinomische Pädagogik und kommunikative Didaktik. Studien zu Widersprüchen und Spannungen in Erziehung und Schule. Düsseldorf: Schwann Verlag.

Internetverweise:
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Materialien:

Verantwortlich: Claudia Gómez Tutor, Zentrum für Lehrerbildung, TU Kaiserslautern und Olga Huber